Hat ein Kind eine leibliche und eine rechtliche Mutter, sind EU-Staaten verpflichtet, dem Kind ein Ausweis- oder Reisedokument auszustellen. Nur so ist es den Eltern und dem Kind möglich, das unionsstaatlich verbürgte Recht in Anspruch zu nehmen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Der Europäische Gerichtshof hat hierzu eine wegweisende Entscheidung getroffen (EuGH, Urteil v. 14.12.2021, Az. C 490/20).
Wie war der Sachverhalt?
Zwei miteinander verheiratete Frauen, von denen die eine die bulgarische und die andere die britische Staatsangehörigkeit besaß, lebten in Spanien und hatten dort ein Kind bekommen. Die spanischen Behörden stellten eine Geburtsurkunde aus, in der beide Frauen als „Mütter“ des Kindes bezeichnet waren. Als die leibliche Mutter für das Kind in Bulgarien die Ausstellung einer Geburtsurkunde beantragte, die wiederum für die Ausstellung eines bulgarischen Personalausweises notwendig ist, lehnte die Behörde den Antrag ab.
Die Behörde verwies darauf, dass in der Geburtsurkunde nur ein Feld für die „Mutter“ und ein weiteres für den „Vater“ vorgesehen sei und der Antrag keine Angaben zur leiblichen Mutter enthalte. Die Eintragung von zwei Eltern weiblichen Geschlechts in einer Geburtsurkunde verstoße gegen die öffentliche Ordnung, da Bulgarien keine Ehen zwischen Personen gleichen Geschlechts erlaube. Außerdem habe die Frau als Antragstellerin die Angabe verweigert, welche der beiden Frauen die leibliche Mutter des Kindes sei.
Das daraufhin von den Eltern angerufene bulgarische Gericht legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vor. Es wollte wissen, ob die bulgarische Behörde gegen Unionsrecht verstößt und ein Ausweisdokument für ein Kind bewilligen muss, wenn das Kind, dessen Geburt durch die Geburtsurkunde eines anderen Mitgliedstaates (hier Spanien), in der zwei Mütter eingetragen sind, bestätigt wurde.
EU-Staaten müssen in einem EU-Staat anerkanntes Abstammungsverhältnis anerkennen
Der EuGH verwies vorab darauf, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union rechtlich verpflichtet sind, ihren Bürgern einen Personalausweis oder einen Reisepass auszustellen, aus dem sich ihre Staatsangehörigkeit ergibt (EU-Richtlinie 2004/387). Nur so sei es den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union möglich, sich innerhalb der Europäischen Union frei zu bewegen und das in Art. 39 EGV (Vertrag über die Europäische Union) verbürgte Recht der Freizügigkeit wahrzunehmen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass ein Kind mit der Geburt automatisch auch die Staatsangehörigkeit der Mutter erwirbt.
- Die Behörden in Spanien hatten das biologische und das rechtliche Abstammungsverhältnis des Kindes zu beiden Frauen rechtmäßig festgestellt und dieses Abstammungsverhältnis in einer Geburtsurkunde bescheinigt.
- Es entspricht den Grundsätzen des Unionsrechts, dass Entscheidungen, die in rechtmäßiger Weise in einem EU-Staat getroffen werden, auch in anderen EU-Staaten als rechtmäßig anerkannt werden müssen. Wollte man der bulgarischen Behörde zugestehen, die in Spanien erstellte Geburtsurkunde anzuzweifeln, würde dieser Rechtsgrundsatz infrage gestellt.
- Deshalb sei die bulgarische Behörde verpflichtet, einerseits das Abstammungsverhältnis zwischen dem Kind und den beiden Frauen anzuerkennen, damit das Kind und die Frauen ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union ausüben können.
- Um dies ermöglichen, sei die bulgarische Behörde zudem verpflichtet, dem Kind ein Reisedokument auszustellen.
GUT ZU WISSEN
Keine Pflicht für Bulgarien, die Ehe für alle einzuführen
Diese Entscheidung verpflichtet Bulgarien jedoch nicht, die Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts anzuerkennen. Dass die bulgarische Behörde eine Geburtsurkunde ausstellen muss, beeinträchtige weder die nationale Identität Bulgariens noch die öffentliche Ordnung in Bulgarien. Die Aufstellung einer Geburtsurkunde habe nur den Zweck, dem Kind die Wahrnehmung derjenigen Rechte zu ermöglichen, die sich aus dem Unionsrecht ergeben.
Abstammungsrecht in Deutschland: Kommt die „Mit-Mutter“?
Einen ähnlichen Fall gibt es auch in Deutschland. Das Oberlandesgericht Celle (Beschluss vom 24.3.2021, Az. 21 UF 146/20) hält nämlich die Regelung des § 1592 BGB für verfassungswidrig. Dort ist das Abstammungsrecht eines Kindes geregelt. Vater des Kindes ist der Mann, der mit der Mutter verheiratet ist, die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist. Ist die Mutter jedoch mit einer Frau verheiratet, lassen sich diese gesetzlichen Regelungen nicht gleichermaßen anwenden.
Wie das Bundesverfassungsgericht über die Frage der „Co-Mütter“ entscheidet, ist nicht abzusehen. Es spricht jedoch einiges dafür, den Eltern Recht zu geben. Schließlich geht die Geburt des Kindes auf die gemeinsam und bewusst getroffene Entscheidung beider Frauen zurück, ein Kind in die Welt zu setzen. Da die Mit-Mutter als Elternteil Verantwortung übernehmen möchte, begründet sich aus ihrer Entscheidung auch die Verpflichtung, die Pflege und Erziehung des Kindes wahrnehmen zu können. Dies geht in sachgerechter Art und Weise nur, wenn sie von vornherein als Elternteil des Kindes wahrgenommen und anerkannt wird, ohne eine Stiefkindadoption. Dafür spricht außerdem, dass der Spender der Keimzelle durch die anonyme Spende zum Ausdruck gebracht habe, nicht als Elternteil Verantwortung für das Kind übernehmen zu wollen.
Alles in allem
Regenbogenfamilien haben es nicht unbedingt leicht und müssen immer noch die eine oder andere rechtliche Hürde überwinden. Die Entscheidung des EuGHs ist jedenfalls eine Stärkung für gleichgeschlechtliche Elternpaare. Es bleibt abzuwarten, wann Deutschland mit der Co-Mutterschaft nachzieht.