Was tun, wenn der Partner oder die Partnerin sich nicht traut, sich zu outen? Wenn Sie Ihre Homo- oder Bisexualität bereits offen ausleben, sich aber mit Ihrem Freund oder Ihrer Freundin nicht bei der Familie, den Freunden oder Arbeitskollegen des anderen offen als Paar zeigen können? Eine solche Situation kann für beide Partner sehr belastend sein. Es gibt zwar leider kein einfaches Rezept für die Lösung dieses Problems. Wohl aber einige gute Zutaten: Offene und ehrliche Gespräche, kein Druck, sondern Verständnis, Geduld und Unterstützung.
Die Situation des geouteten Partners
Sie wissen selbst, wie es ist. Nach draußen zu gehen, sich zu outen, zu zeigen, wer man wirklich ist. Sie können sich nun zeigen und stolz sein auf die Person, die Sie sind. Sie müssen sich nicht mehr verstecken – und möchten das vermutlich auch nicht.
Nun haben Sie jedoch einen Partner, der diesen Prozess noch nicht durchlaufen hat – aus welchen Gründen auch immer. Für Sie bedeutet das: Zurück in den Schrank. Der Partner verheimlicht Sie vor der Familie, die Eltern wissen nichts von Ihnen, für Freunde sind Sie nur ein Kumpel oder eine gute Freundin. Damit kommen Heimlichtuereien, Lügen, Verleugnungen. Nicht eingeladen werden auf Familienfeste oder Firmenfeiern. In der Öffentlichkeit nicht Händchenhalten, kein Kuss auf der Straße.
Je länger Sie in so einer Partnerschaft leben, desto mehr wird dies vermutlich auch die Beziehung belasten. Vielleicht kommt Ihnen einer dieser Gedanken bekannt vor? „Ich will, dass er/sie vor anderen zu mir steht. Warum tut er/sie das nicht? Liebt er/sie mich nicht genug? Bin ich ihm/ihr nicht wichtig genug? Meint er/sie es nicht wirklich ernst? Ich fühle mich unsicher. Ich will ihn/sie meinen Freunden, meiner Familie vorstellen. Ich will ihn/sie überall küssen können. Ich will eine normale Beziehung führen.“
Früher oder später werden Sie sich die Frage stellen: Was soll ich tun?
Die Situation des nicht geouteten Partners
Zuallererst ist es wichtig, dass Sie begreifen, dass es mit 99%-iger Wahrscheinlichkeit nicht an Ihnen liegt, dass er oder sie sich noch nicht geoutet hat. Das Coming Out ist für jede queere Person ein individueller Prozess. Viele müssen Zurückweisungen, Verletzungen oder Enttäuschungen einstecken, wenn das Umfeld nicht so verständnisvoll reagiert, wie man es sich wünscht.
Es gibt viele leider berechtigte Gründe, warum Menschen Angst vor einem Outing haben, zum Beispiel:
- Angst davor, von bekannten oder unbekannten Menschen abgewertet zu werden bzw. psychischer wie physischer Gewalt ausgesetzt zu sein (Homophobie)
- Eine sehr religiöse / konservative Familie, die den Kontakt abbrechen könnte
- Angst davor, dass die Familie ausgegrenzt werden könnte (besonders in sehr konservativ/religiösen Kulturkreisen)
- Angst davor, sehr heteronormativ erzogenen Großeltern die letzten Lebensjahre zu „vermiesen“
- Angst davor, dass Freunde / Bekannte / Arbeitskollegen einen „verstoßen“
- Ein aus anderen Gründen homophobes Umfeld (z.B. typisch „männlicher“ Beruf)
Letztlich muss sich daher jeder die Zeit nehmen, die er oder sie braucht, um offen mit der eigenen Sexualität zu leben und sie auch öffentlich zu zeigen. Nicht jeder ist dazu zu jeder Zeit und in jeder Situation in der Lage. Passiert das Coming Out zu früh und ist die Person emotional noch nicht stabil genug für eventuelle negative Reaktionen, kann das zu psychischen Problemen führen. Oder aber es besteht noch eine finanzielle Abhängigkeit von der eigenen Familie, die durch ein Coming Out gefährdet werden könnte.
Mögliche Lösungsansätze
Vielleicht helfen Ihnen die folgenden Ansätze dabei, eine Lösung zu finden, mit der Sie sich beide wohlfühlen:
Ein offenes Gespräch miteinander über das Outing
Wenn das fehlende Outing für Sie bereits zu einem Problem geworden ist, ist es dringend an der Zeit, darüber ein offenes Gespräch zu führen. Ein Gespräch kann dabei helfen, dass sich beide Partner in der Beziehung wieder sicherer fühlen und vielleicht auch im Hinblick auf das Outing Bewegung in die Sache kommt. Nutzen Sie dafür einen Moment, in dem Sie beide Ruhe, Privatsphäre und Zeit haben.
In jedem Fall sollten Sie den Partner / die Partnerin fragen, warum er / sie sich noch nicht geoutet hat – falls Sie das nicht eh schon wissen. Auch, wenn diese Gründe für Sie nicht ganz so einfach nachzuvollziehen sind: Versuchen Sie, sich in die andere Person und ihre Situation hineinzuversetzen. Vielleicht hilft die Erinnerung an das eigene Coming Out. Zeigen Sie, wenn möglich, Verständnis für die Situation des/der anderen.
Dann sollten Sie die Situation aus Ihrer Sicht ehrlich schildern. Sagen Sie, wenn es Sie verunsichert und Sie an der Liebe des/der anderen zweifeln. Vielleicht lässt sich zumindest diese Angst leicht ausräumen. Sollte es für Sie bereits so belastend sein, dass Sie selbst überlegen, die Beziehung zu beenden, so sollten Sie sich gut überlegen, wie Sie das kommunizieren. Es sollte auf den anderen keinen Druck ausüben, sondern vielmehr eine ehrliche Ich-Botschaft sein. Vielleicht reicht es schon, zu sagen, dass es Sie gerade nicht glücklich macht. Vielleicht ist Ihrem Partner bis dahin noch nicht bewusst gewesen, wie sehr es Sie belastet.
Keinen Druck erzeugen
Auch, wenn Sie es gern anders hätten: Versuchen Sie, keinen Druck zu erzeugen, und respektieren Sie, dass Ihr Partner bzw. Ihre Partnerin noch Zeit braucht. Ein Coming Out ist ein ganz persönlicher Prozess und eine lebensverändernde Entscheidung. Man sollte es nur tun, wenn man wirklich dazu bereit ist, nach außen zu seiner Identität zu stehen und auch mit eventuellen Rückschlägen umgehen kann. Versuchen Sie deshalb, wenn möglich, Geduld zu haben.
Was allerdings durchaus möglich ist: dem anderen gut zureden und versuchen, ihn bzw. sie zu überzeugen, den Weg gemeinsam zu gehen. Es ist aber eine Gratwanderung hin zum Druck.
Vorteile des Coming Out herausstellen
Eine Möglichkeit, sanfte Überzeugungsarbeit zu leisten, ist es, die Vorteile des offenen Lebens aufzuzeigen. Denn bei den meisten Fällen überwiegen die langfristigen Freiheiten die kurzfristigen Schwierigkeiten. Man muss sich nicht mehr verstecken, kann offen zu seinen Gefühlen stehen, authentisch leben, muss keine Ausreden oder Lügen mehr erfinden und trifft auch eher auf gleichgesinnte Menschen. Ein Coming Out ist meist eine große Erleichterung. Und es kann zu mehr Selbstbewusstsein führen, weil man dafür einsteht, das gleiche Recht auf ein glückliches Leben zu haben wie alle anderen auch. Weil man für die Community einsteht und sich behauptet in einer immer noch heteronormativ geprägten Welt.
Unterstützung anbieten
Ihr Partner bzw. Ihre Partnerin hat einen entscheidenden Vorteil: Er oder Sie hat jemanden an der Seite, der das Outing bereits hinter sich hat und sicherlich gern bereit ist, die eigenen Erfahrungen zu teilen. Vielen fällt das Coming Out leichter, wenn sie einen Partner haben, der sie unterstützen kann. Sie können Ihre Unterstützung anbieten und sicherlich auch gute Ratschläge geben. Machen Sie deutlich, dass er oder sie sich auf Sie verlassen kann, was auch immer geschieht. Natürlich können Sie sich auch gemeinsam an eine schwul-lesbische Beratungsstelle in Ihrer Nähe wenden.
Gemeinsam einen Plan erarbeiten
Sollte Ihr Partner bzw. Ihre Partnerin sich langsam dafür öffnen, sich zu outen, können Sie gemeinsam einen Plan erarbeiten. Dabei bieten sich zum Beispiel folgende Möglichkeiten an:
- Sie fahren erst einmal gemeinsam in den Urlaub (ein LGBT*-freundliches Land natürlich), wo Sie niemand kennt. Dort leben Sie Ihre Partnerschaft offen aus, küssen sich auf der Straße, halten Händchen. So kann Ihr Freund bzw. Ihre Freundin sich daran gewöhnen, wie schön entspannt es ist, sich wie ein ganz normales Paar zu verhalten.
- Sie überlegen, wer die erste Person sein könne, der gegenüber er oder sie sich outet. Vielleicht ein guter Freund, der sich bereits in der Vergangenheit als offen und tolerant gezeigt hat? Gute Erfahrungen bestärken nämlich.
- Das Thema vielleicht einmal beiläufig in der Familie ansprechen und versuchen, herauszufinden, welches wohl die Bedenken sein könnten.
- Sich darauf vorbereiten, emotional wie sachlich. Manche Vorurteile lassen sich direkt mit guten Argumenten widerlegen.
- Einen Zeitpunkt überlegen, an dem man es den Eltern sagt. Das sollte ein ruhiger Moment sein, in dem viel Zeit für Nachfragen besteht.
- Damit rechnen, dass die Eltern erst einmal etwas Zeit brauchen, um das zu verarbeiten.
- Notfallplan erarbeiten, falls es wirklich zur Eskalation kommt. Überlegen, wo man möglicherweise psychologische Unterstützung bekommen könnte.
- Sollten Familienmitglieder oder Freunde tatsächlich den Kontakt abbrechen: Ein guter Freundeskreis kann zu einer zweiten Familie werden, bei der man sich sicher, verstanden und gemocht fühlt, wie man wirklich ist.
Ausklang
Ein offenes Gespräch über das Coming Out ist wichtig. Schließlich leiden Sie unter der Situation. Seien Sie daher ehrlich. Hören Sie aber auch dem anderen zu und versuchen Sie, so viel Verständnis wie möglich für die Situation des anderen aufzubringen. Denn das Coming Out ist ein individueller Prozess für jeden. Und wahrscheinlich hat er / sie gute Gründe, noch nicht für diesen Schritt bereit zu sein. Es ist aber durchaus möglich, sanfte Überzeugungsarbeit zu leisten, ohne Druck zu erzeugen: Indem Sie von sich erzählen, die Vorteile des Outings hervorheben, Ihre Unterstützung anbieten und gemeinsam einen Plan erarbeiten.
Doch letztlich ist dieses Problem nicht das einzig Wichtige in Ihrer Beziehung. Schließlich lieben Sie sich und sind gerne zusammen. Daher ist es auch wichtig, dass – sollte sich der Partner bzw. die Partnerin nach einem Gespräch noch nicht (sofort) zu einem Coming Out bereit fühlen - Sie das Thema auch erstmal wieder ruhen lassen. Er oder sie braucht vielleicht noch Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Vielleicht können Sie ja einen „Termin“ in einigen Monaten vereinbaren, an dem Sie sich noch einmal zusammensetzen und dem Thema Raum geben. Und bis dahin? Genießen Sie die Zeit miteinander.